Wo wird heute noch frei improvisiert? Und zwar wirklich frei? Jazzer, so frei sie auch
spielen, bleiben doch stets einem rhythmischen und harmonischen Grundmuster verpflichtet,
Pop- und Rockmusiker leisten sich nur gelegentlich stimmliche oder gitarrentechnische
Extravaganzen und in der Klassik herrscht sowieso absolute Notentexttreue.
Dabei wurden viele Klassiker wie Bach, Mozart oder Beethoven gerade zu ihrer Zeit
als Meister der Improvisation bejubelt. Erst die neueste Zeit hat die Improvisation
wieder als urtümlichstes Spielfeld der Musik entdeckt.
Einen Rahmen für diese Tonkunst aus dem Augenblick bietet die vierte Auflage des
Festivals für improvisierte Musik mit dem treffenden Namen »zoom in«. Vorgesehen
sind sechs Solokonzerte an drei Abenden. Das hochkarätige Mini-Festival bewegt sich
an der Schnittstelle zwischen Neuer Musik und Improvisation und will das unwiederholbare
Konzerterlebnis ganz bewusst ins Zentrum rücken. «Musik wird auf Instrument, Spiel
und Körper reduziert, gewissermassen auf den Punkt gebracht», sagt der Festivalleiter
Christian Kobi, der am Freitagabend selbst mit einer Saxophon-Improvisation auftritt.
Was vor drei Jahren in der alten Filzfabrik in Münsingen begann, findet dieses Jahr im
Berner Münster statt. Kobi freut sich ganz besonders über diese Spielstätte: «Die
phänomenale Akustik des Münsterchors ist einzigartig für Konzerte dieses Genres.»
Dabei kommt auch die Münsterorgel zum Zug: Der österreichische Organist und Komponist
Wolfgang Mitterer - er gehört zu den Shooting-Stars der Elektronik-Szene - wird
die Register der altehrwürdigen Orgel mit Elektronik bereichern; ein «Work in progress»,
auf das man besonders gespannt sein darf. Ein weiterer Höhepunkt ist sicher der
Auftritt des im Tessin lebenden Raumklangkünstlers Walter Fähndrich, der - ungewöhnlich
genug - mit seiner Bratsche nach Bern kommen wird.
Zum Konzept des Festivals gehört es, stets neue Musikerinnen und Musiker aus allen
Landesteilen der Schweiz einzuladen. Aus der Westschweiz ist diesmal Pierre Favre
mit von der Partie, ein Perkussionist, der als Poet seines Instrumentariums gilt.
Abgerundet wird das Programm durch die Improvisationen von Katharina Weber und
Martin Schütz, die man beide in Bern bestens kennt: Erstere als höchst vielseitige
Pianistin, Letzteren als Cellisten und «Elektroniker» des Trios «koch-schütz-studer».
Was die Ohren des neugierigen Berner Publikums genau erwartet, kann auch Christian
Kobi nur erahnen: «Alle haben eine Carte blanche erhalten, alle treten sicher mit
einem Konzept an; was dabei jedoch herauskommt, wird erst der Konzertabend zeigen.
Ich freue mich auf Überraschungen.» |